Copacabana

Wir brachen gegen 10:00 Uhr in Coroico auf, nahmen uns ein Taxi zum Busterminal und warteten dort darauf, dass sich genug Leute für eine Fahrt nach La Paz finden würden. 
Während wir warteten fiel mir auf, dass ich meine kleine Panasonic Lumix Kamera im Zimmer hatte liegen lassen. Sie muss beim Packen irgendwie unter das Regal gefallen sein. Ich rief sofort im Hostel an und man versprach mir zu suchen, aber „gefunden“ wurde sie bis heute nicht. 
Hier in Bolivien und ganz besonders in Coroico, später aber auch auf der Isla del Sol, haben wir immer wieder die Erfahrung gemacht, dass uns Leute einfach unverschämt anlügen. In Coroico habe ich einmal Ware für 8 Boliviano mit einem 20 Boliviano-Schein bezahlt. Der Verkäufer nahm den Schein, drehte sich kurz um und kam lächelnd mit 2 Bolivianos als Wechselgeld zurück. Ich sagte ihm, dass ich 12 BOB zurück bekomme und er meinte, nein, ich hätte ja mit einem 10 BOB-Schein bezahlt und zückte zum Beweis den 10 BOB-Schein in seiner anderen Hand. Ich sagte ihm direkt heraus, dass es gelogen sei, ich ganz sicher mit 20 BOB bezahlt habe und er den Schein getauscht hat. Er tat äußerst beleidigt und bestritt es bis zum Schluss. Hätte ich nicht ganz genau gewußt, dass ich gar keinen 10 BOB-Schein mehr hatte, ich wäre fast selbst ins Zweifeln gekommen. Frustriert und enttäuscht von dieser Mentalität nahm ich die zwei BOB, schimpfte ihn einen Lügner und ging. Ich bin von anderen Reisenden davor gewarnt worde, den Verkäufer mit dem Geld zum Wechseln weglaufen zu lassen, aber dass ein Umdrehen schon ausreicht, hat uns alle entsetzt. Und genauso war es nun mit der Kamera. Dieses offene Lügen war schlimmer als jeder materielle Verlust. 
Aber wie hier meistens ist, auf etwas Schlechtes folgt meist etwas Gutes, das mein Weltbild wieder zurechtrückt. So auch dieses Mal. Während wir warteten hörte ich von weit her ein vertrautes Lied: Cielito lindo! Pablo meinte, da spiele eine Band Livemusik und zwar richtig gut. Ich ging hin und fand ein kleines Haus, eine Band mit der voller Hightech-Ausrüstung davor und eine überglückliche alte Frau, die mit ihrem Enkel tanzte während der Rest der Famile lachend und klatschen drumherum stand. Es war eine Geburtstagsfeier und hier ist es üblich, dem Geburtstagskind ein ganz besonderes Ständchen zu schenken – Livemusik. Und sie waren wirklich gut!! 

Als sie mich dort stehen sahen, baten sie mich dazu. Der Sänger fragte, wie ich heiße und wo ich herkomme und rief laut „Alemania!!!!!“ in sein Mikrofon. Alle lachten und freuten sich und mein Ärger über die verlorene Kamera verflog. Unser Bus fuhr, ich musste los und sie winkten zum Abschied und riefen ausgelassen gute Wünsche hinter uns her als wir über die unbefestigte Lehmstraße nach La Paz loszuckelten.
Wir fuhren nur 2 Stunden zurück nach La Paz, nahmen uns ein Taxi zum Busterminal im Zentrum und kamen dort um 14:15 Uhr an. Mein geliebtes La Paz…! Zum dritten Mal waren wir nun hier und wieder wäre ich am Liebsten geblieben. Als wir das Busterminal betraten, beschlich mich ein ungutes Gefühl. Normalerweise schrien die Verkäufer der Busunternehmen hier ständig und immer wieder „Copacabana, Cochabamba Cochabamba, ya sale!!!“ in die große Eingangshalle. Heute riefen sie nur „Cochabamba, Cochabamba, ya sale!!“ in unsere von der Ruhe Coroicos verwöhnten und hier so gequälten Ohren. Und tatsächlich bestätigte unser Nachfragen bei mehreren Busgesellschaften, dass heute kein Bus mehr nach Copacabana fuhr. Die fahren nur zweimal am Tag – 8:00 Uhr morgens und 14:00 Uhr nachmittags. Wir waren 15 Minuten zu spät… Man sagte uns, es gäbe noch andere Busse, die vom Friedhof aus losfuhren. Regionale Busse und viel billiger. Wir hatten von diesen Bussen gehört – Lonely Planet warnte vor ihnen in einem großen blau unterlegten Fenster. Sie wären nicht sicher und würden oft auf den einsamen Passstraßen überfallen. keinesfalls sollte man nachts mit einem solchen Bus fahren. Naja, es war ja noch hell… Wieder einmal blieb und nichts anderes übrig, als La Paz mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend zu verlassen. Wir nahmen uns ein Taxi zum Friedhof und bestiegen um 16:00 Uhr einen der regionalen Busse nach Copacabana. Billig war es – wir bezahlten nur 25 BOB für die dreistündige Fahrt. Dafür sah der Bus aus, als hätte er schon zuviele Tage auf den Straßen Boliviens verbracht. Wir waren die einzigen Touristen im Bus und fühlten uns viel zu auffällig. Wir fuhren den altbekannten Weg hoch nach El Alto, das wir dieses Mal auch belebt und ohne Straßensperren vorfanden und folgten viele Kilometer dem Ufer des Titicacasees bevor wir auf die einsamen Passstraßen durch die Anden einbogen. Langsam ging die Sonne unter und ich sah einen der schönsten Sonnenuntergänge, die ich je erlebt habe. Wir verschwiegen vor uns selbst, dass wir nun im Dunkeln auf dieser wenig befahrenen Passstraße reisten. Immer wieder hielt der Bus mitten im Nichts, um Leute aus dem Bus zu lassen. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo diese Menschen in der Dunkelheit mit ihren Taschenlampen hingingen. Seit langer Zeit hatte ich kein Licht mehr gesehen und wir waren mitten in den Bergen.
Gegen 19:00 Uhr erreichten wir Copacabana und suchten uns ein Hostel. Einziges Kriterium: billig! Und so war es dann auch. Für ganze 25 BOB (2,62 Euro) bekamen wir ein Dreibettzimmer mit geteiltem „Bad“-ein angebrochenes Waschbecken draußen und ein Klohäuschen mit einem Fass Wasser davor zum Spülen. Die Dusche hatten wir nicht vor zu benutzen. Für eine Nacht war es okay.

Hostel für 2,60 geteilt durch 3 = 0,86 Euro pro Nacht

Wir stellten unser Gepäck ab und gingen etwas Essen. Eines wurde uns schnell klar, halbwegs vernünftiges Internet würden wir in diesem Ort wieder nicht finden. Obwohl das Restaurant genauso wie das Hostel free WIFI anbot, dauerte es eine ganze Stunde um die google-Website zu öffnen! Wir versuchten noch viele Restaurants und andere Hostels aber viel besser wurde es nicht.

Am nächsten Tag suchten wir uns ein anderes Hostel, wo wir 35 BOB ein sauberes Zimmer fanden und  erkundeten die Stadt. Copacabana überraschte uns. Es war sehr schön!! Auf 3.810 m liegt es direkt am Ufer des Titicaca-Sees. Eine große Basilika grenzt an den Hauptplatz. Dahinter erheben sich die Anden in ihrer ganzen Pracht. Wir wunderten uns lange, warum all die Autos mit Blumenschmuck fuhren – es waren zu viele für eine Hochzeit. Wikipedia lüftete das Geheimnis heute.

Auszug aus wikipedia
Der Ort gilt als der bedeutendste Wallfahrtsort Boliviens. Dort befindet sich in einer Basilika die einen Meter hohe Figur der „Dunklen Jungfrau“ bzw. Virgen Morena, auch Virgen de Copacabana genannt. Die Figur wurde 1576 von einem Indio aus dunklem Holz geschnitzt und hat eine Krone aus purem Gold. Die zugehörige Basilika im maurischen Stil wurde erst 1820 erbaut. Der Marienfigur werden zahlreiche Wunder und Heilungen zugeschrieben, sie wird als Schutzheilige des Titicaca-Sees verehrt. An jedem Wochenende kommen hier Familien aus ganz Bolivien und dem angrenzenden Peru und lassen ihre Autos segnen. Der Segen wird sowohl von einem Mönch als auch einem Schamanen erteilt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Copacabana_%28Bolivien%29

Cocabana mit seinen  kleinen Gassen, gemütlichen Cafés und den vielen Straßenhändlern gefiel uns und wir beschlossen, länger als geplant hier zu bleiben. Wir hatten auch noch viel zu viele Bolivianos übrig und durch die Krankheit von Annika fehlte uns ein Tag in unserem Reiseplan. Für die peruanische Seite des Titicacasees und die „Schwimmenden Inseln“ vor Puno reichte die Zeit nicht mehr. Wir hatten aber gelesen, dass es auch hier eine schwimmende Insel gibt – in Sahuina. Die Gemeinde hat vor vielen Jahren ein Projekt ins Leben gerufen, dass an die Kultur der Urus Iruitu erinnern soll – eine altes Volk, das auf aus Reed gefertigten schwimmenden Inseln  auf dem Titicacasee lebte.
Wir nahmen uns ein Druvi, das ist ein Sammeltaxi, und liefen weitere 20 Minuten in die Gemeinde. Wir waren die einzigen Touristen hier und alle begrüßten uns freundlich mit einem Lächeln. Am Rand des Titicacsees kam ein kleines Mädchen angelaufen und sprach und an. Ob wir ein Boot zu der Insel suchten und ob wir wissen wollten, was das für Pflanzen seien. Alle seien auf dem Feld, um Kartoffeln zu ernten und sie erklärte uns jede Pflanze, ihren Namen, ihre Heilkraft und wir man sie pflanzt, erntet und zubereitet. Sie war zehn und ein aufgewecktes Kind. Zu unserer großen Überraschung führte sie unszum Ufer, bedeutete uns zu warten und sprang selbst in eines der Ruderboote. Mit großen Augen fragten wir uns, ob wir uns wirklich von einer Zehnjährigen über das Wasser rudern lassen sollten, als zum Glück der Vater der Kleinen um die Ecke kam. Sie ruderte das Boot nur zur Anlegestelle und von da an übernahm er die Kraftarbeit. Sie erklärte uns alles über die Kultur der Ururs Iruitu, das Leben der Fischer hier und die große Forellenzucht ihrer Familie. Auf der Insel holte sie uns Fische und Kröten aus dem See und erklärte, welche Vogelarten hier leben, wann sie Eier legen und wie viele. Wir machten noch einen Abstecher zu der Forellenzucht der Familie und stolz zeigten sie uns die riesigen rosafarbenen Forellen, die es nur hier am Titicacasee gibt (und im Übrigen sehr sehr lecker sind).

Das Mädchen und ihr Vater wollten nicht einmal Geld für die zweistündige Führung. Wir gaben ihnen trotzdem ein großzügiges Trinkgeld. Beladen mit Wissen, unvergesslichen Erinnerungen und einer Ladung Kräutern verließen wir Sahuina und kehrten zurück nach Copacabana.

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